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Gerd2


FALSCH

JOHN FINCH


Leseprobe:

20.9.2010, nahe Muzo / Kolumbien


Die Zeit war reif, er spürte den Tod kommen.
Der alte, schmächtige Mann in seinem engen, schmutzigen Verschlag am Ende der Welt seufzte, als er nach dem kleinen Messingschlüssel an der Lederschnur um seinen Hals tastete. Es war also soweit. Wie oft hatte er sich ausgemalt, was nun passieren würde? Bereute er die Geste, den Griff an die speckige Schnur, die ihn in den letzten 65 Jahren nie verlassen hatte? Allein die Vorstellung von dem, was nun passieren würde, bereitete ihm ein körperliches Wohlbefinden, jagte ihm Schauer über den Rücken und ließ ihm den Schweiß ausbrechen.
Unwillkürlich musste er an Shakespeare denken. „Cry havoc and unleash the dogs of war.“ Auf der einen Seite würden es Bluthunde sein, die losstürmten...
Andererseits, tief drin, breitete sich ein Gefühl tiefer Befriedigung in ihm aus.
Von draußen drangen die Geräusche des Dschungels an sein Ohr. Die Sonne war fast hinter dem Horizont aus grünem Dickicht verschwunden, nur die obersten Zweige der Bäume warfen noch ihre langen Schatten auf die Lichtung vor der ärmlichen Hütte. An manchen Tagen kam ihm der Wald wie eine kompakte Wand vor, die jeden Morgen ein paar Zentimeter näher gerückt war. Unabänderlich, unaufhörlich, wie ein grüner Bulldozer, der ihn und seine lächerliche Hütte bald überrollen würde. Eine erbarmungslose, grüne Maschine. Noch wartete sie im Leerlauf, oder schlich Zentimeterweise voran.
Aber eines Tages würde sie alles hier verschlucken und nie mehr ausspucken.
Er war ein Eindringling, seit Jahrzehnten geduldet, aber der Dschungel ließ ihn das nie vergessen.
Während er mit zitternden Fingern versuchte, den kleinen Schlüssel loszumachen, blickte er verstohlen zu der schlafenden Eingeborenen hinüber, die sich auf ein paar zerrissenen dünnen Decken eingerollt hatte und leise vor sich hin schnarchte. Sie lag auf dem gestampften Lehmboden, den Daumen im Mund, wie ein Baby. Es roch nach Erbrochenem und Urin in der stickigen, heißen Hütte.
Er traute ihr nicht über den Weg. Deswegen musste er handeln. Sie waren auf dem Weg um ihn zu holen, dessen war er sich sicher.
Die dunkelhäutige India mit ihren schwarzen Augen und den verklebten Haaren war vor vier Tagen plötzlich vor seiner Hütte gestanden, hatte ihn mit einem irren Blick angeschaut, unverwandt. Eine geduldige Schlange, die das Kaninchen hypnotisierte. Er hatte versucht, mit ihr zu reden, aber sie hatte seine Bemühungen nur stumm ignoriert. Als er ihr schließlich mit großen, hektischen Gesten bedeutet hatte, wegzugehen, endlich zu verschwinden, war sie lediglich ein paar Schritte zurückgewichen und dann trotzig stehen geblieben.
Zwei Tage lang hatte sie ihn beobachtet, lauernd, mit ihren braunen, ausdruckslosen Augen. Nicht einmal wenn er sich hinhockte und seine Notdurft verrichtete, war ihr starrer Blick von ihm gewichen.
Der alte Mann schüttelte den Kopf. Er sollte sie einfach im Schlaf erschlagen, dann wäre ein Problem gelöst. Aber er hatte noch zu viele andere, bevor....
Mit einer ungeduldigen Handbewegung wischte er ein paar Fliegen von seiner Stirn.
Zwei Nächte hatte sie vor seiner Hütte geschlafen, unter dem löchrigen Vordach im Gras, ihren Kopf auf einen flachen Stein gelegt. Er hatte gewacht, misstrauisch, die Machete in der Hand, hinter der dünnen Türe, die er aus den Brettern alter Teekisten gezimmert hatte. Aber sie war nicht näher gekommen, hatte nicht versucht, in seine windschiefe Hütte einzudringen. Ihr braunes, flaches Gesicht, das ihm jeden Morgen bei Tagesanbruch entgegenblickte, war unbeweglich geblieben.
Sie tat nichts, sie aß nichts, sie stand einfach nur da und blickte ihn unverwandt an.
Als er sie schließlich am dritten Tag mit einer unwirschen Handbewegung in seinen Verschlag einlud und ihr den verbeulten Aluminiumbecher mit Tee entgegenhielt, setzte sie sich mit steinernem Gesicht auf den Boden und schlürfte gierig das heiße Getränk. Dabei blickte sie sich um. Nicht neugierig, nein, eher katalogisierend. Suchend? Das alte, durchgelegene Bett mit der verwanzten Matratze, die gestapelten Teekisten, die als Regal dienten, das vergilbte und gewellte Foto mit den Einschusslöchern und dem zersplitterten Glas. Es zeigte einen Mann in Uniform, sein junges, weißes, faltenloses Gesicht arrogant der Kamera zugewandt.
Hochnäsiger Blick. Gefährliche Ignoranz.
Die alten Pappschachteln unter dem Bett waren in verschiedenen Stadien der Auflösung begriffen und faulten vor sich hin. Auf dem unebenen, gestampften Lehmboden lag ein Stück Stoff als Teppichersatz, das mehr Löcher hatte, als das Gebiss des Bewohners.
Sie hatte sich lange wortlos umgeschaut, mit unbeweglichem Gesicht und einem abschätzigen Blick, der den alten Mann geärgert hatte. Dann war sie aufgestanden und an den Käfig mit den drei Tauben getreten. Der Alte glaubte plötzlich, so etwas wie Hunger in ihren Augen zu lesen. Oder war es Neugier? Er konnte es nicht deuten, aber rasch stellte er sich instinktiv beschützend vor den schmierigen Käfig und nahm ihr die Sicht auf das Wertvollste, was er noch besaß.
Die Vögel waren so erstaunt über den unerwarteten Besuch gewesen, dass sie zu gurren vergaßen.
Die Eingeborene schnarchte leise und kopfschüttelnd kniete der Alte nieder, bückte sich. Das Mahagonikästchen war noch da, wo er es vor einem Leben versteckt hatte, in der flachen Grube unter dem Kopfende seines Bettes. In braunes Wachspapier eingeschlagen, fest verschnürt.
Er richtete sich wieder auf und streifte mit fahrigen Bewegungen die Erde von dem kleinen Paket, bevor er vorsichtig die Bindfäden löste. Mit jedem geöffneten Knoten kam er der Entscheidung einen Schritt näher. Seine Hände zitterten, als er langsam und bedächtig das Papier entfernte und sich eine kleine, fast schwarze, kubische Schatulle aus der Verpackung schälte.
Ein Geräusch hinter ihm ließ ihn herumfahren. Mit einem schiefen Grinsen und einem irren Blick stürzte sich die Eingeborene auf ihn, flog ihm mit ausgestreckten Händen entgegen, die wie Krallen eines Raubvogels sein Gesicht suchten. Sie prallte auf ihn, bevor er ihr ausweichen konnte, riss ihn um, hinunter auf den rutschigen Boden. Es gab eine Stich in seinem rechten Knie und er stöhnte auf.
Die Schatulle kullerte wie ein Würfel davon, blieb schließlich auf dem löchrigen Teppich liegen, verfolgt von ihren gierigen Blicken. Sie hatte die Hände um seinen Hals gelegt und drückte zu, so fest sie nur konnte. Ihren Kopf jedoch hatte sie abgewandt, um das schwarze Kästchen nicht aus den Augen zu verlieren und das war seine Chance. Mit einer Hand griff er unter das Bett, während es um ihn immer schwärzer wurde, tastete hektisch herum, bis er endlich gefunden hatte, was er suchte. Mit einer einzigen wütenden Bewegung riss er die versteckte Machete aus der Scheide, während sich die Hände des Mädchens noch fester um seinen Hals zu verkrampfen schienen.
Er keuchte schwer unter ihrem Gewicht. Der triumphierende Blick ihrer dunklen Augen sprach Bände: Ich bin jünger, stärker und zu allem entschlossen. Dann jedoch sah sie die Machete aufblitzen und der Terror ließ sie überrascht aufschreien. Es war das erste Mal, dass er ihre Stimme hörte. Sie war schrill und spitz und klang wie eine Luftschutzsirene.
Sein erster, halbherzig geführter Schlag traf sie seitlich. Die scharfe Klinge glitt von Schädelknochen ab und trennte ihr glatt das Ohr und einen Teil der Wange vom Kopf. Ihr Griff um seinen Hals löste sich, und ein unmenschlicher Schrei hallte durch die Hütte und hinaus über die kleine Lichtung.
Er versuchte krächzend, tief Luft zu holen und aufzustehen, aber seine Beine versagten ihren Dienst. Sie war zurück getaumelt, die Hände an den Kopf gepresst. Zwischen ihren Fingern schoss Blut hervor, ein dunkelrotes Geflecht aus purpurnen Nebenströmen, die sich auf ihrem Arm zu einem Fluss vereinten, der dann von ihrem Ellenbogen auf den Boden rann. Ihr hasserfüllter Blick ließ ihn keinen Moment aus den Augen, während sie sich vor Schmerzen krümmte.
Seine Hand mit den großen, braunen Altersflecken öffnete und schloss sich immer wieder um den Griff der Machete. Er spürte das Adrenalin durch seinen Körper jagen. Bilder von damals blitzten vor seinen Augen auf, schwarz weiß, ausgeblichen, unscharf und unwirklich. Wie ein Rausch setzte das Hochgefühl ein.
„Du miese kleine Ratte,“ presste er hervor, „du Ausgeburt der Hölle. Ich schick Dich dahin zurück, wo du hergekommen bist.“
Täuschte er sich, oder schien sie auf etwas zu warten?
Er wischte den Gedanken beiseite und stützte sich mit einer Hand auf dem Bett auf, wuchtete ächzend den alten, gebrechlichen Körper hoch.
Wo war die Schatulle?
Da war sie auch schon wieder über ihm, rasend vor Schmerzen und Wut. Sie riss ihn mit sich und beide fielen aufs Bett, er auf den Rücken und sie auf ihn drauf, wie ein Liebespaar in einer grotesken Umarmung. Blut und Speichel tropften auf sein Gesicht, während sich ihre Hände erneut wie ein Schraubstock um seinen Hals legten. Zugleich versuchte sie, ihm ihr Knie in den Unterkörper zu rammen, immer und immer wieder, bis er Sterne vor seinen Augen sah und die Schmerzwellen sein Gehirn benebelten.
Mit letzter Kraft stieß er ihr die Machete in die Seite, drückte nach und hörte erst auf, als die Spitze des langen Messers auf der anderen Seite wieder aus ihrem Körper drang. Sie krümmte sich stöhnend und erschlaffte mit einem Mal, lag ruhig auf ihm, schwer und regungslos.
Die feuchte Hitze und ihr Körper schienen ihn einzuschließen wie eine Zwangsjacke. Erschöpft ließ er seinen Kopf auf die dünne Decke fallen und lauschte. Außer dem Gurren der Tauben war da nur sein schwerer Atem.
In der Ferne schrie ein Tier in der heranbrechenden Nacht.
Er rollte mühsam ihren Körper von seinem und zog dabei die Machete heraus. Ein Schwall Blut tränkte ihr billiges Kleid, das hochgerutscht war und er sah einen fleckigen, großen Slip, der ehemals einmal weiß gewesen sein mochte. Aber das war nicht wichtig. Als er sich aufrichtete, erblickte er die Schatulle mitten im Raum liegen, unversehrt und schwarz glänzend. Er humpelte hinüber, ignorierte die Schmerzen in seinem Unterleib und hob das kleine Kästchen hastig auf. Mit einem Ende seines löchrigen T-Shirts wischte er behutsam den Staub weg, lauschte aufmerksam nach draußen und tastete dann schließlich erneut nach dem Schlüssel an seinem Hals. Er zog ihn von der Schnur ab und schloss auf.
Die alten Scharniere quietschten leise, als der Deckel nach oben klappte und der dunkelrote Samt schien ihm so frisch und leuchtend entgegen, wie am ersten Tag. Der Anblick der drei Gegenstände, die klein und unscheinbar in einer Ecke der Schatulle lagen, ließen die Augen des Alten aufblitzen.
„Unleash the dogs of war,” murmelte er immer wieder, als er mit seinen gichtigen Fingern das Papierröllchen, den flachen Schlüssel und den Ring aus ihrem Versteck holte.
Achtlos warf er das nun leere Kästchen aufs Bett und stolperte hinüber zu dem Käfig mit seinen geliebten Tauben. Es waren zwei braun-weiße und ein grauer Vogel, groß und kräftig, gut genährt und makellos sauber. Der Alte steckte seine zitternde Hand in den Käfig und strich zärtlich über das Gefieder seiner aufgeregt trippelnden Lebensgefährten. Würden sie sich noch erinnern, an die weit entfernten Ziele, die fremden Städte, oder waren die Reisen vergebens gewesen? Er hatte mit Geduld und Beharrlichkeit den Vögel Dinge beigebracht, die außergewöhnlich waren. Sein gesamter Lohn aus den nahegelegenen Smaragdminen war nach und nach dabei draufgegangen, die langen Flugreisen zu bezahlen. Und auch das übrige Geld...
Ein Geräusch ließ ihn hochschrecken. Misstrauisch legte er den Kopf schief. Irgendwo auf der Lichtung hatte ein Ast geknackt. Hatten die anderen ihren Schrei gehört? Er spürte, wie seine Zeit ablief. Rasch befestigte er das Papierröllchen, dann den Schlüssel an den Füßen der braun-weißen Tauben. Endlich war der Ring an der Reihe. Er drehte ihn in seinen Fingern, sah die beiden Steine blitzen, strich mit seinem zerfurchten Daumen über die alten Symbole und fühlte das Gewicht des Silbers. Der Ring war kühl und geheimnisvoll glänzend in der einbrechenden Dunkelheit. Mit schnellen Griffen streifte der alte Mann ihn der grauen, der stärksten seiner Tauben, über den Fuß und befestigte ihn sicher.
Als er fertig war, saßen die Tauben nebeneinander auf dem offenen Käfig und blickten ihn neugierig an.
Er wurde unsicher.
Keiner der Vögel machte Anstalten, davon zu fliegen...
Dann brach mit einem Mal das Chaos über die kleine Hütte herein. Mit einem lauten Krachen wurde die Tür eingetreten und Männer stürmten in den Verschlag, Männer, so alt wie er. Grauhaarig oder mit Glatze, untersetzt, die meisten in Jeans und T-Shirts. Die kurzen, schwarzen Sturmgewehre wollten nicht recht zu ihnen passen. Eine Gehhilfe wäre in den Augen mancher Beobachter angemessener gewesen, doch das täuschte.
Die Kegel von einem halben Dutzend starker Taschenlampen irrten durch die Hütte, blieben erst an der Leiche des Mädchens hängen, dann schließlich fingen sie die Figur des gebrechlichen, alten Mannes ein.
Irritiert durch die Eindringlinge waren die Tauben gurrend aufgeflogen, flatterten aufgeregt in der Hütte hin und her, hinauf unter das Wellblechdach und wieder zurück zum Käfig, dann zur Türe, verzweifelt einen Ausweg aus dem engen Raum suchend, während die Männer ihrerseits auf englisch durcheinander riefen, nach den Vögeln schlugen und von irgendwo her der Rotorenlärm eines landenden Hubschraubers durch die Dämmerung drang.
Der alte Mann blickte den Bewaffneten ruhig entgegen. Er vermied es absichtlich, den Tauben nachzusehen, die eine nach der anderen die Türe gefunden hatten und nun im violetten Abendlicht verschwanden, wie er erleichtert feststellte.
Die Eindringlinge stutzten erst, verloren keine Zeit und stürzten hastig zurück ins Freie, rissen die Waffen hoch und schossen den Vögel hinterher. Aber die hereinbrechende Nacht machte ein genaues Zielen unmöglich. Die Tauben verschwanden zielstrebig in Richtung Osten über die Bäume, verschmolzen mit der Dunkelheit und waren bald nur mehr Schemen, die sich in Nichts auflösten.
Als die Männer resignierten und laut fluchend wieder in die Hütte zurückstürmten, fanden sie den alten Mann sterbend auf dem Boden liegen. Er hatte sich mit seiner Machete die Kehle durchgeschnitten, sein Blut kam stoßweise und tränkte den Lehmboden wie verschütteter, roter Sirup.
Auf den Zügen des Toten lag ein zufriedenes Lächeln.
Die Angreifer durchsuchten die Hütte gründlich, aber sie fanden nichts, bis auf das leere Kästchen und das Porträt mit der verblassten Widmung und den Einschüssen. Sie nahmen die alte Photographie von der Wand und einer von ihnen löste sie aus dem Rahmen und steckte sie ein. Dann wurden bereits Benzinkanister aus dem Hubschrauber herbeigeschleppt und wortlos, aber äußerst gründlich, leerten die alten Männer die Flüssigkeit in jede Ecke des Verschlags. Sie würdigten die beiden Leichen keines weiteren Blickes.
Als der große Helikopter startete und kurz über der Lichtung im Dschungel schwebte, brannte die trockene Hütte lodernd hell, meterhohe Flammen schlugen links und rechts aus dem Wellblechdach. Bald würde das Feuer die letzten Reste des „Gringo loco“, des verrückten Weißen, wie ihn die Eingeborenen immer genannt hatten, verschluckt haben.
Ein großer, massiger Mann mit eisgrauen Augen und militärisch-kurzgeschnittenen weißen Haaren war der einzige, der nicht nach draußen schaute. Er drehte vorsichtig das Porträtfoto in seinen Händen, die mit Altersflecken übersät waren. Darin ähnelten sie den zahllosen Stockflecken auf dem gelblichen Foto.
Die Einschüsse im Papier wollten nicht zu dem frischen und optimistischen Gesichtsausdruck des jungen Mannes passen, der sich in der SS-Uniform der „Leibstandarte Adolf Hitler“ hatte fotografieren lassen.
Vor langer, langer Zeit, dachte der Weißhaarige.
Vor einem Menschenleben.
Nein, korrigierte er sich, vor einer Ewigkeit.




Im Zug nach Kolumbien.


Ein Zug, ein Abteil, eine ereignislose Reise in den Harz. Stundenlange Zugfahrt vorbei an Bahnhöfen mit vernagelten Fenstern, leeres Abteil.

Langeweile. Eintönigkeit.

"Ich will weg von hier, in ein Land, in dem es heiss ist, das aufregend ist und in dem eine abenteuerliche Geschichte beginnt, die um den halben Globus führt."

Das war der Moment, in dem sich die Geschichte auf meine Schulter setzte.
"Du willst weg?", fragte sie schelmisch. "Dann hör mir zu und schreib auf! Ist Dir der Dschungel abenteuerlich genug?"

Ich holte meine Laptop-Tasche aus dem Gepäcknetz.

"Ein alter Mann, eine Eingeborene, die Smagagdminen von Muzo sind nicht weit...", flüsterte sie eindringlich. "Reicht dir das für den Anfang?"

Netzteil angeschlossen, Betriebssystem gestartet.

"Der Alte hat ein Geheimnis, das aber nichts mit dem Dschungel zu tun hat. Es liegt in Europa.... Und jetzt hat er Angst, es könnte mit ihm sterben..."

Weisse Seite. Meine liebste Straße in die Phantasie. Sozusagen eine Direttissima...bis zum Horizont.

"Die Verfolger sind schon auf dem Weg, keine zehn Minuten entfernt. Der alte Mann hat nicht mehr viel Zeit. Seine Uhr tickt. Und die Eingeborene will sein Geheimnis um jeden Preis. Sie ist nicht die, wofür sie sich ausgibt. Nichts ist so, wie es scheint. Beeil Dich! Sonst ist der Hubschrauber da, bevor Du überhaupt begonnen hast, zu schreiben!"

So begann "Falsch".

Im Vertrauen auf meine Geschichte, die mir in den nächsten Monaten nicht mehr von der Seite wich, hörte ich ihr zu und schrieb mit. Kein Skript, kein Plan, keine vorbereiteten Helden. Nur eine Geschichte....und das Abenteuer herauszufinden, wohin sie mich führen wird.

Als die letzte Zeile geschrieben war, flog sie auf und ich bildete mir ein, so etwas wie ein zufriedenes Murmeln zu hören. Dann kicherte sie ein wenig und war weg....



Einige Fakten...


Geschätzte 150.000 sogenannte ‚Halb-, Viertel- oder Achteljuden’ dienten bei der Deutschen Wehrmacht an allen Fronten während des Zweiten Weltkriegs. Mit knapp 500 Überlebenden hat ein amerikanischer Historiker, Bryan Mark Rigg, bei seiner Untersuchung vor wenigen Jahren gesprochen und ihre Erinnerungen aufgeschrieben. Vom einfachen Soldaten bis zum General oder Admiral mit höchsten Auszeichnungen – viele waren jüdischer Abstammung und standen für Hitler unter Waffen an den Fronten. Der wohl prominentest unter ihnen war Generalfeldmarschall Erhard Milch, nach der Definition der Nationalsozialisten "Halbjude". Auch andere heute prominente Soldaten jüdischer Abstammung dienten als Offiziere in der Armee, wie etwa Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt.


Das Projekt „Zitteraal“ im oberen Inntal am Eingang des Ötztals war der damals größte und stärkste Windkanal Europas. Die Reste der Anlage und der Platz des Gefangenenlagers können heute noch besichtigt werden. Die Franzosen transportierten tatsächlich die Turbinen und technischen Einrichtungen nach Frankreich und ließen sie von der deutschen Konstruktionsfirma (den ehemaligen Dinglerwerken)
in Mondane in den französischen Alpen wiederaufbauen. Bis heute werden Airbus-Teile in der Anlage getestet.


Allen Welsh Dulles war der jüngere Bruder des damaligen amerikanischen Außenministers John Foster Dulles und saß für den amerikanischen Geheimdienst OSS während des Zweiten Weltkriegs als Gesandter in der Schweiz. Er war Anlaufstelle für Zuträger und Widerstandskämpfer aus Nazi Deutschland und verhandelte ab Februar 1945 mit SS-General Karl Wolff über einen vorzeitigen Waffenstillstand in Italien. Kesselring, Befehlshaber der Heeresgruppe Süd und West willigte erst am 2. Mai 1945, also sechs Tage vor der deutschen Gesamtkapitulation am 8. Mai 1945 in den Waffenstillstand ein. Bis heute weiß niemand, warum Kesselring so lange wartete. Mit dieser ‚Operation Sunrise’ bereitete Allen Dulles schon früh eine Nachkriegskooperation mit Naziverbrechern vor, mit denen er den Kommunismus eindämmen wollte.


Die Operation Bernhard war die bislang größte bekannte Geldfälschungsaktion der Geschichte, durchgeführt vom Sicherheitsdienstes des Reichssicherheitshauptamtes. Zwischen 1942 und 1945 wurden rund einhundert Millionen gefälschter Pfundnoten hergestellt und größtenteils in Umlauf gebracht. Wenig bekannt ist, dass im KZ Sachsenhausen nördlich von Berlin auch mehrere ausländische Währungen gefälscht und gedruckt wurden, darunter große Mengen an perfekt nachgemachte US-Dollar Noten. Entgegen der landläufigen Meinung wurden die Druckstöcke der Pfundnoten nicht im österreichischen Toplitzsee gefunden, sondern liegen bis heute tatsächlich in einem Schließfach in einer liechtensteinischen Bank.


Die Mir Mine in Ost-Sibirien war die erste Diamantenmine der UdSSR und begann 1957 mit dem Abbau von Diamanten. Sie produzierte unglaubliche zwei Millionen Karat Schmuckdiamanten jährlich bis zu ihrer Schließung. Das einzige Unglück, dass sich auf dem angeschlossenen Flughafen jemals ereignete, ist bis heute geheimnisumwittert. Am 1. November 2009 stürzte eine Ilyushin Il-76 des Russischen Innenministeriums bald nach dem Start ab. Alle elf Mann an Bord wurden bei dem Absturz getötet. Offiziell transportierte das Flugzeug keinerlei Ladung auf ihrem Weg nach Irkutsk. Die Il-76 schmierte über die rechte Tragfläche ab und zerschellte in der Nähe einer alten Diamantenmine. Angeblich waren die ersten Hilfsmannschaften erst zwei Tage nach dem Verschwinden der Maschine am Absturzort...


Die Villa Borbone delle Pianore in Camaiore bei Lucca, in der die spätere österreichische Kaiserin Zita von Bourbon-Parma am 9. Mai 1892 geboren wurde, existiert nach wie vor. Wenn das Haus sich heute auch in einem vernachlässigten Zustand befindet, so haben die vergangenen Jahrzehnte doch den alten Glanz nicht ganz verschwinden lassen können. Die Vertäfelung mit der Uhr, die in meinem Buch das Versteck der Liste ist, gibt es tatsächlich. Sollten Sie einmal in der Nähe sein, dann sprechen sie in der Gemeinde vor, die ihre Räume im Erdgeschoss der Villa hat. Man wird Ihnen bestimmt gerne den oberen, den herrschaftlichen, Stock zeigen.




Dieses Buch
ist allen Augenzeugen gewidmet,
die mir in den Jahren 1982 bis 1988 einen Einblick
in ihr Leben während des Krieges gewährt haben.
In fast eintausend Interviews erzählten sie mir über
Menschlichkeit und Verzweiflung, Hoffnung und Niedertracht,
Mut und die Kunst, zu überleben.
Ich habe tausend Leben gelebt und mehr Geschichten gehört,
als man sich vorstellen kann.
Danke dafür.






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